Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Durch Achtsamkeit zum klimaverträglichen Leben

30.04.2018

Thomas Bruhn

Dr. Thomas Bruhn

thomas [dot] bruhn [at] rifs-potsdam [dot] de
istock/FilippoBacci

Das Wissen um die globale Erwärmung und ihre Folgen für Mensch und Natur ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erwärmung bis 2100 auf deutlich weniger als 2°C Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau zu beschränken, ist weithin bekannt. Viele Vorschläge, die menschlichen Emissionen von CO2 zu reduzieren, setzen auf den Einsatz neuer oder veränderter Technologien, wie beispielsweise die effizientere Nutzung von Rohstoffen, den Einsatz von erneuerbarer Energie oder auch die Technologie des Carbon Capture and Storage (CCS). Problematisch bleibt, dass neue Technologien oft mit neuem Energie- und Ressourceneinsatz verbunden sind und Effizienzgewinne häufig durch erhöhten Gesamtverbrauch wieder aufgebraucht werden (sogenannte „Rebound-Effekte“).

So ist den technischen und politischen Bemühungen häufig gemein, dass sie eher Symptome bekämpfen anstatt die tieferen Ursachen anzugehen, in der Hoffnung, dem Klimawandel zu begegnen und gleichzeitig eine substanzielle Veränderung der Lebensstile in Industrienationen zu vermeiden. Aber funktioniert das? Bisher lässt sich kein Absinken der globalen Emissionen beobachten, insbesondere auch, da Menschen in China, Indien und weiteren Ländern ebenfalls nach westlichen Lebensstilen streben. Daher ist es eine zentrale Frage, wie sogenannte suffiziente Lebensstile  kultiviert werden können, die ein gutes Leben mit minimalem materiellem Ressourcenbedarf ermöglichen.

Suffizienz bedeutet nicht nur Verzicht

Viele Menschen sehen die Diskussion um Suffizienz vor allem unter dem Gesichtspunkt des Verzichts – zum Beispiel Verzicht auf Fleisch, Flugreisen und Autofahrten. Für andere geht es vielmehr darum, Werte in den Vordergrund zu rücken, die unter einer konsumorientierten Lebensweise leiden. Sie begreifen Suffizienz als Wertewandel von einem Haben- zu einem mehr Seins-orientierten Leben. Aus diesem Blickwinkel wird Nachhaltigkeit zu einer kulturellen Herausforderung. Denn technologische Neuerungen oder politische Reglementierungen allein reichen nicht aus, um Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, wenn die kulturelle Lebensweise weiterhin Konsum in den Mittelpunkt stellt.

Nach ersten breiteren Diskussionen hierzu in den 90er Jahren betonte auch der einflussreiche Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2011 die Relevanz eines kulturellen Wandels hin zu einer Kultur der Achtsamkeit und Teilhabe.

Achtsamkeitstraining kann bei Naturschutz und nachhaltigem Konsum helfen

Seit einiger Zeit erfährt die Kultivierung von Achtsamkeit etwa durch Meditation und Yoga enorme gesellschaftliche Beachtung und wird von vielen bereits als Megatrend angesehen. Achtsamkeit beruht hierbei auf einer 2500 Jahre alten buddhistischen Meditationspraxis und bezeichnet eine bewusst wahrnehmende, nicht wertende Geisteshaltung gegenüber dem gegenwärtigen Moment, für das Jetzt.

Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren zielt darauf ab, „mit weniger mehr zu erreichen“.
Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren zielt darauf ab, „mit weniger mehr zu erreichen“.

Ergebnisse der Hirnforschung zeigen, dass sich Achtsamkeit gezielt trainieren lässt und zu einer gesteigerten Wahrnehmung und höherer Konzentration führt. Aufgenommenes wird weniger bewertet, die Identifizierung mit eigenen Gefühlen und Gedanken ist geringer. Neben einer Reihe gesundheitlicher Potentiale trägt Achtsamkeitspraxis damit dazu bei, dass Praktizierende eine erhöhte Reflexionsfähigkeit haben und reaktiven Verhaltensmustern weniger stark verhaftet sind. Regelmäßiges Praktizieren von Achtsamkeitsmeditation führt so zu bewussterem Erleben und Bewerten.

Im Kontext von Nachhaltigkeit widmet sich das Bundesamt für Naturschutz den Potentialen von Achtsamkeit für den Naturschutz, während Ökonomen sowie Psychologen der TU Berlin sich für die Potentiale für die Bildung für nachhaltigen Konsum interessieren.

Die Lücke zwischen Wissen und Handeln verkleinern

Neurowissenschaftler wie Ulrich Ott berichten, dass Praktizierende ein ganzheitliches Seins-Gefühl erleben und ihre innere Mitte erfahren. Der Psychoanalytiker Erich Fromm erläuterte bereits in den 50er Jahren, wie Menschen im Westen eine innerliche Leere mithilfe von Besitzzwang auszugleichen versuchen. „Wenn Haben die Basis meines Identitätsgefühls ist, weil ‚ich bin, was ich habe‛, dann muss der Besitzwunsch zum Verlangen führen, viel, mehr, am meisten zu haben“. Achtsamkeit für das eigene Befinden könne daher helfen, das eigene Wohlbefinden nicht über Konsum und Leistung zu definieren – und diese Auseinandersetzung könne zu einer suffizienteren Lebensgestaltung beitragen.

Achtsamkeitstraining kann den kulturellen Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft befördern – sei es durch eine vermehrte Abkehr von materialistischen Werten oder durch ein leichteres Überwinden alter Gewohnheiten und eine stärkere Fokussierung auf das Selbst. Die Journalistin Petra Pinzler beschrieb kürzlich in der ZEIT ihre Erfahrungen beim Selbstversuch für ein klimaschonendes Leben und berichtete über die sogenannte Kognitive Dissonanz, also die Beobachtung, dass Menschen unbewusst gegen ihr eigenes Wissen und ihre eigenen Überzeugungen handeln. Achtsamkeitspraxis eröffnet Möglichkeiten, ein tieferes Bewusstsein zu entwickeln für das eigene Tun und dessen Auswirkungen. Sie schafft Bewusstsein für die Dinge, die uns umtreiben. Ott formuliert es so: „Wenn Sie erkennen, wer Sie sind, zu sich kommen und Ihre innere Mitte finden, können Sie beginnen, selbstbestimmter zu leben und Diskrepanzen zwischen Ihrem Wollen und tatsächlichem Tun zu reduzieren.“ Und ist ein solches Bewusstsein nicht genau das, was wir brauchen, um Lebensstile zu kultivieren, die dem entsprechen, was wir eigentlich längst erkannt haben? Denn wenn wir das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Übereinkommens wirklich ernst nehmen, muss sich unsere Welt und unsere Lebensweise fundamental ändern.

Trauen wir uns an die schmerzhaften Fragen heran!

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hinsichtlich Nachhaltigkeit zwar auf der technischen Seite viel getan, aber unsere Verhaltensweisen sind dennoch vielfach sogar noch schädlicher geworden. Das zeigt, dass eine Auseinandersetzung mit unserer konsumorientierten Lebensweise immer relevanter wird. Doch damit sind wir wohl genau an der Crux der Achtsamkeitsforschung innerhalb des Nachhaltigkeitsfelds angelangt. Obwohl viele der hier beschriebenen Zusammenhänge bereits lange bekannt sind, konzentriert sich der Nachhaltigkeits- und Klimadiskurs auf Effizienz- und Ökoeffektivitätsbestrebungen, während das Thema Suffizienz immer wieder in den Hintergrund gedrängt wird. Vielleicht gerade weil es nicht bei den Symptomen ansetzt, sondern bei den Ursachen? Ist es zu unbequem, die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen? Glauben wir wirklich, dass immer neue technologische Lösungen den Weiterbestand unseres industriellen Lebensstils sichern können (und sollen)? Wälzen wir damit nicht die Kosten unserer Bequemlichkeit auf künftige Generationen ab?

Trauen wir uns doch an die schmerzhaften Fragen heran, die die eigentlichen Ursachen in den Blick nehmen! Was ist das gute Leben? Was brauchen wir wirklich und welche Werte sind uns wichtig? Und wie gelingt es uns, endlich gemäß unserer tieferen Erkenntnisse und Überzeugungen zu leben, um den Lebens- und Zivilisationsraum Erde zu erhalten?

Eine Version dieses Artikels erschien am 27. April 2018 im Blog des Deutschen Klima Konsortiums.

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